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Beitrag vom 18.05.2017
Hurray for The Riff Raff - The Navigator
Lisa Baurmann
Die Band um Frontfrau, Songwriterin und Sängerin Alynda Segarra ("Small Town Heroes"), hat ein beeindruckendes Konzeptalbum geschaffen, das Folk und Lateinamerikanische Musiktradition vereint, um von Identitätssuche und...
... Mut zum Widerstand in Verhältnissen der Unterdrückung zu erzählen.
Kein geringeres Werk als David Bowie´s "Ziggy Stardust And The Spiders From Mars" stand Pate für "The Navigator". Hurray For The Riff Raff versuchen sich nach ihrem Vorgängeralbum "Small Town Heroes" von 2014 erstmalig an einem Konzeptalbum, das, wie Bowie um die Kunstfigur Ziggy Stardust, eine epische Geschichte erzählt "The Navigator" schildert die Erlebnisse von Navita, einer 17-jährigen, die durch die Straßen der Großstadt wandert, die vom prekären Leben zwischen Gentrifizierung, Armut und Ausgrenzung geprägt ist.
Alynda Segarra hat mit Navita eine Figur geschaffen, die Teile ihrer eigenen Geschichte erzählt. Die Musikerin wuchs in der New Yorker Bronx auf, bevor sie als Teenager aus ihrem Zuhause floh, auf Güterzügen durch die Staaten reiste und schließlich, mit 18, im musikalischen Epizentrum New Orleans landete. Für die Aufnahmen zu "The Navigator" kehrte sie zurück in die alte Heimat Big Apple und damit gleichzeitig zurück zu ihren puertoricanischen Wurzeln.
Neue Vorbilder
Das ist für Segarra eine musikalische wie thematische Wende. Lange zögerte sie, sich mit ihrem kulturellen Hintergrund zu identifizieren, wie sie der Musikplattform Bandcamp im Interview erläutert: "I felt like what I was didn´t fit into these tiny boxes that the television made for Latina women in general. I was like, ´I want to be a white poet guy. I want to be Allen Ginsberg,´ instead of knowing that I could be an activist like Sylvia Rivera."
Sylvia Rivera, die 2002 verstorben ist, war seit den 60er Jahren Vorkämpferin für Transgenderrechte und setzte sich für puertoricanische und afro-amerikanische Jugendliche ein. Sie steht als Beispiel für die Aktivist_innen, Dichter_innen und Musiker_innen mit lateinamerikanischen Wurzeln, deren politisches und kulturelles Wirken in den USA Segarra im Zuge ihrer eigenen Identitätssuche neu entdeckt hat.
Klangliche Einflüsse der neu gefundenen Vorbilder sind deutlich zu hören. Der Blues- und Americana-Sound von Hurray For The Riff Raff, den sie zuletzt auf "Small Town Heroes" eindrucksvoll vorführten, ist auf "The Navigator" ergänzt durch etwas Salsa, afro-karribische Percussion, sogar Tango. Im "Finale" unterstützen Gitarre und kraftvolle Vocals der in Venezuela geborenen, in Brooklyn lebenden Musikerin Yva Las Vegass, sowie ein Trio aus puertoricanischen Bomba-Trommeln.
Die Folk-Rock-Tradition, in der die vorherigen Alben standen, schwingt allerdings auch weiterhin mit, so wie in "Living In The City", in dem Segarras Lyrics, tiefgründig und lässig zugleich, zu akustischer Gitarre und Tambourin, die Erzählung um Navita beginnen. Die schlichte Basslinie, die verträumten Snythesizer und die repetitiven Vocals von "Hungry Ghost" wecken gar Assoziationen mit Post-Punk.
Zwischen Fiktion und bitterer Realität
Durch die vielfältigen Sound-Elemente wird eine ungemein spannende Textur für die sanft-rauchige Stimme der Sängerin geschaffen, die von Migration, Klasse, Gentrifizierung, Rassismus und Sexismus in den USA erzählt. Die fiktive Geschichte Navitas, die innerhalb dieser Widrigkeiten auf der Suche nach ihrer Identität ist, ist verwoben mit einem lyrischen Aktivismus, der sich auf das ganz reale Hier und Jetzt bezieht.
Das mit treibendem Rhythmus und einer klagenden Gitarre unterlegte "Rican Beach" etwa hat Segarra unter anderen den Umweltaktivist_innen in Peñuelas auf Puerto Rico und Standing Rock in Michigan gewidmet. Dass sie vor hochaktuellen Themen nicht zurückscheut, verrät auch die letzte Strophe des Songs, die ganz offensichtlich unter dem Eindruck der vergangenen US-Wahlen steht:
"Now all the politicians
They just flap their mouths
They say we´ll build a wall to keep them out
And all the poets were dying
Of a silence disease
So it happened quickly and with much ease"
Raum für Optimismus: ¡Pa´lante!
Die Stille der Dichter_innen in Reaktion auf die vorherrschende rassistische Politik, vor der Segarra hier warnt, bricht "The Navigator" ganz dezidiert. In der Ballade "Pa´lante", deren spanischer Titel so viel wie "Vorwärts" bedeutet, kulminiert der kritische und zugleich optimistische Aufruf, nicht stillzustehen, weiter zu machen, etwas zu verändern:
"To my brothers, and my sisters, I say, ¡Pa´lante!"
Das Album wird auf diese Weise einerseits zum dringend benötigten Weckruf. Andererseits eignet es sich bestens als Soundtrack der sich bereits formenden Protestbewegungen gegen eine Politik, die auf sozialer Ausgrenzung und Abwertung ganzer Personengruppen beruht.
AVIVA-Tipp: Das Zusammentreffen des Songwriting-Talents mit der politischen Message von Alynda Segarra zeigt sich außerordentlich fruchtbar. "The Navigator" ist als ihr erstes Konzeptalbum und mit dem Mosaikwerk aus musikalischen Einflüssen ein gewagter Versuch, der großartig gelungen ist.
Hurray For The Riff Raff
The Navigator
Label: ATO Records
VÖ: 10.03.2017
atorecords.com
Hurray For The Riff Raff im Netz:
hurrayfortheriffraff.com
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Queere Community, klassische Country LiebhaberInnen oder Kids, die auf Güterzügen durch das Land trampen – Singer/Songwriterin Alynda Lee Segarra vereint mit ihrem sechsten Studioalbum viele Welten. (2014)